Liebe ist bedingungslos, Beziehung nicht. (4)

Kennst Du einen, kennst Du alle?
Nehmen wir als plakatives Beispiel eine Szene aus der Welpengruppe. Menschen, die sich eigentlich nichts zu sagen haben, treffen sich durch ihren Hund jeden Samstag auf einer eingezäunten Wiese. Nun stehen sie da, groß und klein, mit ihren unterschiedlichen Hunden, die momentan noch eines vereint: alle sind irgendwie niedlich und quirlig und die kleinen Mädchen, die an der Hand ihrer Mutter mit in die Welpengruppe gekommen sind, schreien ständig nur „ist der süß“! Tatsächlich findet natürlich jeder seinen eigenen Hund am besten, wie sollte es anders sein. Und dennoch gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen, die jedes Wochenende in die Gruppe pilgern. Sie hatten unterschiedliche Motive, sich einen Hund anzuschaffen und ihre Erwartungen liegen zum Teil meilenweit auseinander. Eine Familie hat sich einen Labradorwelpen gekauft, die Kinder sollen mit einem Hund aufwachsen und spielen können. Die Eltern freuen sich auf die gemeinsamen Spaziergänge mit dem Hund in der Natur. Die Familie scheint nun komplett, Eltern, zwei Kinder und ein verspielter Labrador Retriever. Der Anschaffungsgrund impliziert bereits die Erwartungen der Eltern an den Hund. Er soll lieb sein. Das ist die Hauptaufgabe eines Familienhundes und aus Sicht der Familie nachvollziehbar. Genetisch gesehen ist auch ein Retriever ein Hund. Rassespezifisch arbeitet er auf der Jagd nach dem Schuss, apportiert erlegtes Wild und wird vor allem zur Entenjagd eingesetzt. Er soll einerseits leichtführig, andererseits körperlich unempfindlich und selbständig sein. Sein Aggressionspotenzial ist im Vergleich zu manch anderer Rasse als eher niedrig einzustufen. Die Familie hat mit der Rasse zunächst keine schlechte Wahl getroffen. Ein weiterer Besucher der Welpengruppe ist ein Jäger mit seinem Deutschen Jagdterrier. Der Kleine soll später zur Jagd auf Wildschweine, Füchse und Dachse eingesetzt werden. Die notwendigen Fähigkeiten dafür bringt er bereits mit. Er ist als Terrier in der Lage, sich ohne Vorlauf in einer jagdlichen Situation zu verlieren und ein Tier zu attackieren, das größer ist als er selbst. Sollte sich dieses Tier wehren und den Terrier angreifen, läuft dieser nicht weg, sondern schaltet vom Jagdmodus in Aggressionsverhalten um. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass ein Deutscher Jagdterrier im Vergleich zum Labrador ein großes Aggressionspotenzial mitbringt. Darauf ist der Jäger nicht nur vorbereitet, es beschreibt sogar seine Erwartung an seinen kleinen Begleiter. Nun kommt es zu einer kurzen Übung, die sicherstellen soll, dass sich der Hund im Notfall eine gefundene Beute wegnehmen lässt. Die Trainerin wirft eine Kaustange in die Runde, die Hunde dürfen darauf herumkauen und die Hundehalter sollen nach einigen Minuten versuchen, ihrem angeleinten Hund die Beute wegzunehmen. Die Familie mit dem Labrador kommt als erste dran. Sie erwarten kein Problem und so nähern sie sich ihrem Welpen an durchhängender Leine. Dieser erscheint sehr beglückt über seine Situation mit der Kaustange und versucht diese aufrechtzuerhalten, springt beim Versuch der Annäherung beiseite. Dies wiederholt die Familie mehrfach und der Kleine sichert jedes Mal die Beute. Mindestens einer lernt etwas. Nun nehmen sie die Leine kurz und gelangen an ihren Hund und die Kaustange, doch bei dem Versuch sie wegzunehmen, macht der Welpe ein kleines Geräusch, das man gemeinhin Knurren nennt. Was jetzt passiert, ist sehr entscheidend. Es kann sein, dass die Familie zurückschreckt, weil sie damit nicht gerechnet hat. Der Labrador mit seinen 10 Wochen verhält sich wider ihren Erwartungen aggressiv und hat damit Erfolg. Sie könnten aufgrund dessen zukünftig die Situation mit der Kaustange vermeiden, um nicht wieder mit dem falschen Bild konfrontiert zu werden. Nun ist der Jäger mit seinem Terrier an der Reihe. Er weiß um die Fähigkeiten seines Hundes und wäre wahrscheinlich enttäuscht, wenn der Kleine in dieser Situation freundlich wäre. Andererseits weiß er auch, dass der Hund lernen muss, sich ihm gegenüber nicht aggressiv zu verhalten. Er geht also bereits von vornherein anders in den Konflikt. Er zieht seinen Welpen an der Leine heran, packt ihn so, dass er nicht gebissen werden kann und holt sich unmissverständlich die Kaustange. Die Versuche des Terriers dagegen unterbindet er im Ansatz. Lächelt dann aber und freut sich über die Hartnäckigkeit seines Hundes. Schließlich will er ihn so haben. So könnte letztendlich bei diesem Gedankengang herauskommen, dass der Labrador mit der genetisch „schlechteren“ Ausstattung im Aggressionsbereich eine Futteraggression entwickelt und der Deutsche Jagdterrier in diesem Bereich keine Probleme zeigt. Das genetische Potenzial allein ist nicht entscheidend. Die Anschaffungsgründe, die Erwartungen an den Hund und der Erziehungsstil des Menschen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Vielfalt ist die Wirklichkeit
Alles hat mit allem zu tun. Wenn es um nachhaltige Veränderung in einer Beziehung geht, muss vieles hinterfragt werden. Die Mensch-Hund-Beziehung lässt sich glücklicherweise nicht auf die Lerntheorie reduzieren und unterliegt einem permanenten Wandel. Hunde lösen bei uns Menschen Gefühle aus. Wir empfinden Glück und Vertrautheit, können wütend auf sie sein oder unter ihnen leiden. Wir träumen manchmal von ihnen, machen uns Sorgen, sind ärgerlich oder stolz auf sie. Konflikte gehören zu einer engen Beziehung dazu, nicht alle müssen gelöst werden. Außerdem gibt sie. Diese gemeinsamen, ruhigen Abende. An denen sie sich einig sind, Mensch und Hund. Gemütliche Klamotten, das Sofa, die Decke und der Fernseher. Zusammen sein. Nicht allein sein.

Autorin: Nadin Matthews
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